SHAMANISMUS ist die Vermittlung zwischen den "Geisterwelten", also den Gedankenwelten räumlich und zeitlich abwesender Persönlichkeiten, und der Alltagswelt der lebenden Menschen. Durch die Präsentation von symbolisch bedeutsamen Gegenständen und deren metaphorischer Verwendung während der von ihm zelebrierten, religiösen Zeremonie tritt der SCHAMANE, der sich dazu zuvor in einen Trancezustand versetzt, in intuitiven Gedankenaustausch mit seinem Publikum und trägt so zur Heilung von individuellen oder kollektiven Problemzuständen bei, über deren Ursache sich weder Publikum noch Heiler notwendigerweise bewußt sind, da die Erklärungen dazu nur von Abwesenden oder Verstorbenen gegeben werden könnten.

Das unmittelbare Verständnis der vom Schamanen dargebotenen, rituellen Messe ist mitunter schwierig oder gar unmöglich. Der Ablauf der Zeremonie selbst ist nicht vorgegeben oder festgeschrieben und orientiert sich an den vom Schamanen zur Messe mitgebrachten Objekten, ihrer Auswahl und Darbietung während des Rituales und der sich daraus im Zusammenhang mit dem Publikum spontan ergebenden metaphysischen Interaktionen.
Sehr selten nur zelebrieren weibliche SCHAMANINNEN religiöse Messen. So zählen die Auftritte der koreanischen Schamanin CHOI SEOL HEE auf dem Koreanischen Kulturfest in Frankfurt zu den absoluten Höhepunkten der Feierlichkeiten zum 130igsten Jahrestag der deutsch-koreanischen Beziehungen vom 5. bis 8. Juni 2013 auf dem Rossmarkt.

Für ihre in Frankfurt vor der Kulisse von 5 Sibirischen Tigern, die vor der roten Sonne niederknien, vorgetragenen Zeremonien hat CHOI SEOL HEE Bühnendekorationen aus 4 Elementen aufgebaut: einem mit Obst und Gemüseschalen, Kerzen, militärischen Symbolen der Kaiserreiche und spontan dazu dekorierten Gegenständen geschmückten Altar, über die gesamte Szenerie ihres Auftrittes verteilten Folkloretrachten, mittels derer sie sich im Laufe ihres Auftrittes beständig in unterschiedliche Persönlichkeiten verwandelt, einem Satz erschreckend scharfer Schneidegeräte, vom Messer über furchterregende Samuraischwerter bis hin zum Papierschneidebeil sowie großen Mengen buntester Stoffäden und Papierbänder, mit welchen sie sich Sorgenpüppchengleich langsam behängt und derer sie sich dann mit Hilfe ihrer Schneidwerkzeuge schrittweise wieder entledigt, sowie einer zwischen Bühne und Publikum errichtetem und von den Flaggen Deutschlands, Koreas sowie historischer koreanischer imperialer Fahnen umgebenen Rednerpult, von dem aus sie - auf Messern stehend - einem demagogischen Volkstribun bzw. einer Hexe auf dem Scheiterhaufen gleich eine emotionale Zwiesprache mit Publikum und den auf der oberen Etage des Fest-Pavillions zuschauenden Honoratioren eingeht.

Zum 130. Jahrestag der Deutsch-Koreanischen Beziehungen ist das Hauptthema der Schamanin die Verarbeitung historischer Aspekte die sich aus der Verbindung der Bevölkerungen dieser beiden Staaten ergeben aus durchaus individueller Perspektive. Ihre Zeremonie nimmt dabei immer wieder Bezug auf die Parallelen, die im Zusammenhang mit den etwa zeitgleichen Teilungen der Staatsgebiete in je 2 Teilstaaten (Korea: 1945 / 1953, Deutschland 1949 / 1961) entstehen. Diese künstlichen, politischen Teilungen führten zu konstruierten Staatsgebilden, zwischen denen sich auf Grund der neuen administrativen Logik Konflikte entwickelten, die einer gegenseitigen Selbstverletzung zwischen den, vom ursprünglichen Selbstverständnis her eigentlich zusammengehörigen Bevölkerungsteilen entsprachen.

Diesen Widerspruch und die Frage des Brückenbaues zur Überwindung der Teilungssituation greift CHOI SEOL HEE in ihrer Zeremonie auf, wenn sie symbolhaft die Waffen gegen sich selbst richtet um ihren eigenen Körper Verletzungen zuzufügen beziehungsweise wenn sie über eine Brücke aus Messerschneiden schreitet, denn - das haben die Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung gezeigt - trotz des historischen, völkischen Zusammengehörigkeitsgefühles zwischen den geteilten Staaten haben die unterschiedlichen Entwicklungen zu neuen Realitäten geführt, deren Wiederzusammenführung zu einer neuen, gemeinsamen Logik nicht problemlos bleiben würde, da die "Aufarbeitung" der Konflikte der Staatsteilungsphase mit der Wiedervereinigung beginnen würde.

Vor politischer Kurzsichtigkeit scheint CHOI SEOL HEE zu warnen, wenn sie mit rot-verbundenen Augen eine Rede hält, während sie durch die beständige Neuauswahl der Fahnen mit nationalen Symbolen während der Zeremonien den ephimeren und theatralischen Charakter politischer Symbolobjekte in Erinnerung ruft.
Doch trotz aller Interpretationsversuche bleiben zahlreiche Elemente der schamanistischen Zeremonie schwer verständlich oder auf verschiedene Art interpretierbar, wie das Zerschneiden eines weißen Tuches mit einem Kampfschwert, das als Anspielung auf die symbolische Auflösung einer Ehe durch Zerschneiden des Hochzeitskleides verstanden werden könnte, aber auch als unkonventionelle Form des "Zerschneidens des weißen Bandes" beim Neubau einer Brücke oder einer Straße.

Das die Schamanin in eindrucksvoller Weise zu Themen Stellung bezieht und vorträgt, die ihr selbst keineswegs gleichgültig sind und mit denen sie selbst persönlich in stark emotional geprägter Verbindung steht, zeigen die sehr unterschiedlichen Abläufe ihrer Auftritte, die in Momenten immer wieder erkennen lassen, daß nicht sie selbst Regisseurin eines von ihr vorbereiteten Theaterstückes ist, sondern daß sie als Schamanin Mittlerin zwischen den "Geistern" und ihrem Publikum ist, wobei sie von eigener Emotionalität geprägt und beherrscht selbst Teil des von ihr kreierten Phänomenes spiritueller Kommunikation bleibt.
Diese Spontaneität der Dynamik der Zeremonien von CHOI SEOL HEE kam unter anderem durch das Verlassen der Bühne und des eigentlichen Festplatzes zur überraschenden Weihung der Baumgruppe südlich des Guttenbergdenkmales an der Roßmarkt-Strasse zum Ausdruck.
So verbanden sich in Frankfurt Charisma und individuelle Kraft von CHOI SEOL HEE und die spirituelle Bereitschaft und Offenheit der Teilnehmer des Koreafestes und insbesondere ihres Publikums zu einem hoffnungsvollen und beeindruckenden Erlebnis der Wirkung und Heilkraft schamanischer Zeremonien auch in Gesellschaften, wo diese Form der religiösen Auseinandersetzung nicht so verwurzelt ist, wie noch in Asien, Afrika oder Lateinamerika.
Foto CID Kurzfilmsequenzen von der Schamanischen Zeremonie in Frankfurt:
Zur Homepage von CHOI SEOL HEE:
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